Philippos e.V.
 

Wie soll es jetzt weiter gehen?


"Ich habe geweint und geschrien, mein Magen verdrehte sich. Mein Mann weinte die ganze Zeit."

Vielleicht war es bei Ihnen genauso? Oder Sie waren erstaunlich ruhig und haben "funktioniert".

Die Art und Weise, wie wir auf den Tod unseres Kindes reagieren ist vielfältig und vielschichtig.

Doch ich denke, eines haben wir gemeinsam: "Das Herz wird zerissen, die Gefühle werden taub und Stille wird so unerträglich laut. Die eigene Welt bleibt innerhalb von Sekunden stehen und trotzdem rast um uns herum die Zeit erbarmungslos weiter."

Und dann taucht sie unweigerlich auf, die Frage: "Wie soll es weiter gehen?"

Kann es überhaupt weitergehen? Sie werden sich das jetzt, an diesem Punkt vielleicht nicht vorstellen können. Die Welt um sie herum geht weiter, die Sonne geht auf und sie geht unter. Richtig erscheint es Ihnen nicht, es ist unfair und surreal.

Aber so verzweifelt, traurig und wütend Sie jetzt sind. Wie egal Ihnen alles erscheint, irgendwie, irgendwo tief in uns, mobilisieren wir jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde die Kraft, um weiter zu machen.

Wie jeder Einzelne von uns weiter macht, ist individuell.


Geschwisterkinder

Genau jetzt stellt sich die erste Frage:                                                                                                     

"Habe ich weitere Kinder? Gibt es Geschwister?"

Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten können, dann müssen Sie mir versprechen, dass Sie unbedingt weiter machen und sich "Hilfe" holen.

Die Erfahrungen von Familien mit Geschwisterkinder sind schwankende Erfahrungen. Die Gefühle, die Sie durchleben, durchlebt auch das Geschwisterkind. Es ist genauso traurig und wütend. Und es versteht auch nicht, was hier gerade passiert. Es hat seine Schwester oder seinen Bruder verloren und einen sehr engen Freund. Es passiert häufig, dass das Geschwisterkind wütend auf seine verstorbene Schwester oder seinen verstorbenen Bruder wird, denn es fühlt sich im Stich gelassen. Solche Gefühle sind nicht rational, aber welche Gefühle sind rational? Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation.

Es kann auch das Gefühl entstehen, dass das verstorbene Kind mehr geliebt wird, als das lebende Kind.

Sprechen Sie mit ihrem Kind, binden Sie es in den Trauerprozess mit ein und erklären Sie ihm alles. Kinder sind so unglaublich stark, wennn wir Sie mit einbeziehen. Vermeiden Sie, die Kinder miteinander zu vergleichen. Jedes Kind ist etwas Besonderes. Machen Sie keines der Kinder schlecht, weil Sie wegen eines unaufgeräumten Zimmer oder einer schlechten Note wütend sind. Ihr Familiengefüge ist fragil.

"Wäre es Dir lieber, wenn ich tot wäre?"  Je nach Alter des Kindes, sollten Sie mit dieser Frage rechnen. Natürlich möchten wir diese Frage nicht hören und wie kann eine Antwort darauf aussehen? Falsch wäre es mit Wut zu reagieren oder die Frage zu ignorieren. Antworten Sie ehrlich: "Nein, ich möchte, dass Du lebst und dass Deine Schwester/Dein Bruder lebt. Ich möchte euch beide hier bei mir haben, weil ich euch beide so sehr liebe."

Gibt es Geschwister, fragen Sie nach Hilfe beim zuständigen Jugendamt, ihrer Krankenkasse, ihrem Kinder- bzw. Hausarzt oder schreiben Sie uns, wir sind bemüht, ihnen die richtigen Adressen zu nennen.


Ihr einziges Kind ist gestorben

Aber auch wenn Sie kein weiteres Kind haben und somit anscheinend keinen Grund haben, jeden Morgen aufzustehen, empfehle ich aus eigener Erfahrung, sich Hilfe zu holen.

Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt, er kann Ihnen helfen einen geeigneten Therapeuten zu bekommen. "Ein Therapeut? Ich bin nicht verrückt, ich will mein Kind zurück!" Ja, das stimmt, Sie sind nicht verrückt und ja natürlich wollen Sie Ihr Kind zurück. Mein Mann und ich haben das auch so gesehen, wussten wir aber doch innerhalb weniger Stunden, alleine schaffen wir das nicht. Egal wie stabil ihre Partnerschaft vor dem Tod ihres Kindes war, jetzt wird Sie durchgerüttelt. Es wird Tage geben, an denen Sie denken, Ihrem Partner nah zu sein und es wird Tage geben, da wird er Ihnen so fern und fremd erscheinen. Einem Therapeuten gegenüber können Sie schonungslos ehrlich sein. Er wird Sie nicht verurteilen.

Was Sie auch auf jeden Fall tun sollten, ist den Menschen, von denen Sie sich Hilfe versprechen, einmal klar und deutlich darauf anzusprechen.  Bitte rennen Sie niemandem hinterher, sparen Sie Ihre Kraft und Zuneigung für Menschen, die es wert sind. Sie werden überrascht sein, wer nach diesem Schicksalsschlag in Ihren engeren Zirkel rückt. Manche Menschen, von denen wir es nie erwartet hätten, werden sich von uns entfernen und andere, die uns vorher fern waren, werden zu unseren engsten Vertrauten. Floskeln wie "Du kannst Dich ja melden, wenn Du mich brauchst", werden Sie von diesen Vertrauten nicht hören, diese Menschen sind einfach da. Sie werden mit Ihnen weinen und mit Ihnen in Erinnerungen an Ihr Kind schwelgen. Sie werden Sie auffangen.

Wenn ich mich an die Stunden nach dem Tod meines Sohnes erinnere, weiß ich noch genau, was mir alles durch den Kopf ging. Auch ob unsere Freundschaften das aushalten. Es ist verrückt, was einem alles durch den Kopf geht.

Mein Mann und ich sprachen darüber und schrieben einem Paar aus unserem Umfeld: "Uns geht es sehr schlecht. Unser kleiner Schatz ist gestern in unseren Armen gestorben. Wir schaffen das nicht alleine. Wir brauchen eure Hilfe. Bitte sagt uns, ob Ihr euch vorstellen könnt, trotzdem mit uns befreundet zu sein." 

Dieses Paar war bedingungslos für uns da und ist es auch jetzt noch. Sie sind unsere Verbindung zu anderen Welt da draussen. Und dafür bin ich so unendlich dankbar!

Aber leider ist es nicht immer so. Gerade wenn es um die eigene Familie geht, werden Sie vermutlich große Enttäuschungen hinnehmen müssen. 

Es ist die bittere Erfahrung, die mir jede andere verwaiste Mutter und verwaister Vater berichtet.

Manchmal wenden sich Familienmitglieder direkt ab, manchmal nach Monaten oder nach dem ersten Jahr. Häufig wird von nicht Betroffenen vorrausgesetzt: "Jetzt muss es doch mal gut sein." "Es ist doch schon so lange her" "Du hast doch noch ein Kind" "Du kannst doch einfach wieder ein Kind bekommen".....

Ja, dumme Aussagen werden Sie immer wieder hören.

Es macht wütend, man wird enttäuscht und auch Sie werden wütend darüber werden und enttäuscht sein, aber bitte verbannen Sie diese Menschen, zumindest für die erste Zeit, aus Ihrem Leben. Sie tun Ihnen nicht gut und diese Gefühle fressen Sie auf. Es hilft Ihnen nicht, sich in ein neues Leben zu kämpfen.


Es wird nicht besser, es wird anders

Auch wenn es nicht hoffnungsvoll klingt: Ja, ein neues Leben....denn in ihr altes, gewohntes Leben, werden Sie nicht zurückkommen. Ich wollte es auch und ich habe es versucht. Aber ich kann tun was ich will, diese Tür wurde durch den Tod meines geliebten Sohnes versperrt.

Einmal war ich bei einem Termin und plötzlich weinte ich los. Die Dame, mit der ich den Termin hatte, fragte mich, was los ist. Ich sagte ihr, dass mein Sohn tot sei und ich solche Angst vor der Zukunft habe. Sie antwortete: "Mein Sohn starb vor fast 20 Jahren. Er wurde als Baby am Herz operiert und hat es nicht geschafft. Es schmerzt immer noch wie am ersten Tag. Es wird nicht besser. Es wird anders."

Und diese Dame hat recht, dies bestätigen mir immer wieder verwaiste Eltern, bei denen es schon viele Jahre her ist.

Jetzt gerade befinden Sie sich an einem Punkt, voller Angst, Zweifel, Schmerz und Kälte. Der Gedanke an den nächsten Tag, an die nächsten Wochen, Monate und Jahre erfüllt Sie mit Angst.

Sie werden immer wieder einmal am Morgen aufwachen und fragen, wie soll ich es nur schaffen.

Ich habe keinen Geheimtip. Ich habe in den ersten Wochen von Minute zu Minute gelebt. Daraus wurde von Stunde zu Stunde und schließlich von Tag zu Tag.


Tun Sie, was Ihnen gut tut

Es ist leichter gesagt, als getan. Vor allem, wenn Sie unter Schuldgefühlen leiden. Auch wenn die Schuldgefühle nicht objektiv sind, ich verstehe, wenn Sie sich Vorwürfe machen.

"Hätte...." "Wäre...." "Wenn..."

Abstellen können Sie das Gedankenkarusell nicht so einfach, es ist ein Prozess.

Auch, wenn es Ihnen in den ersten Wochen und Monaten nicht möglich erscheint, bitte beherzigen Sie die folgenden Ratschläge:

  • Ernähren Sie sich regelmäßig und gesund
  • Trinken Sie ausreichend Wasser
  • Treiben Sie Sport oder nehmen Ihre Hobbies wieder auf (auch wenn Sie krank geschrieben sind)
  • reden Sie mit Ihrem Partner
  • treffen Sie sich mit Freunden
  • suchen Sie sich passende Hilfsangebote




 
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